Wer selbst betroffen ist, weiß: Die Krankheit endet nicht mit dem letzten Behandlungstermin.
Die Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten macht eine Genesung zwar mittlerweile sehr wahrscheinlich, doch gerade die Zeit nach der Therapie – wenn Arztbesuche seltener werden – ist häufig besonders belastend. Der Weg zurück in den Alltag, in ein „normales“ Leben, ist mit vielen Hürden verbunden. Körperliche und psychische Nachwirkungen begleiten Betroffene oft über Monate, Jahre oder sogar ein Leben lang. Doch vieles davon bleibt für das Umfeld unsichtbar oder nur schwer nachvollziehbar.
In der Außenwahrnehmung tritt die Krankheit nach dem Ende der medizinischen Behandlung und dem Verschwinden der sichtbaren Symptome oft in den Hintergrund – und wird nicht selten verdrängt. Das führt dazu, dass sich viele Patient*innen mit ihren Sorgen, Schmerzen und Ängsten alleingelassen fühlen. Es ist ein zentraler Punkt, den Betroffene immer wieder äußern, erklärt das Psycholog*innen-Team der Fondation Cancer. Im Austausch mit den Patient*innen wird klar: Was sie brauchen, ist kein Mitleid oder eine Sonderbehandlung, sondern echtes Verständnis – und ein empathisches Umfeld, das anerkennt, dass Heilung Zeit braucht.
Auch in dieser Übergangsphase braucht es viel Rücksicht.
„Angehörige wollen oft helfen – gleichzeitig besteht nach der intensiven Zeit der Erkrankung auch bei ihnen der Wunsch, wieder zur Normalität zurückzukehren“, sagt das Psycholog*innen-Team. Es kann dadurch passieren, dass man die Flucht nach vorn sucht und die Krankheit verdrängt. Hinter solchen Vermeidungsstrategien steckt oft Selbstschutz – nicht mangelnde Empathie.
Gleichzeitig ist es für Betroffene entscheidend, sich mitteilen zu können – gerade in schwierigen Momenten. Für das Umfeld ist es nicht leicht, die richtigen Worte zu finden. Doch auch zu viel Positivität kann kontraproduktiv sein.
Doch die Erschöpfung, die durch Überarbeitung oder eine schlechte Nacht entsteht, ist nicht vergleichbar mit der tiefgreifenden Fatigue, die Patient*innen nach einer Krebserkrankung erleben – und sollte nicht mit ihr gleichgesetzt werden. Es ist wichtig, dass Patient*innen auch sich selbst gegenüber Verständnis zeigen.
Aufmunternde Floskeln wie „Alles wird wieder gut“ oder „Ist doch halb so wild“ können den Druck erhöhen – besonders, wenn sich Betroffene ohnehin schuldig fühlen, weil sie noch nicht wieder funktionieren wie früher. „Patient*innen dürfen nicht das Gefühl entwickeln, dass sie ihrem Umfeld zur Last fallen – aber genau das berichten sehr viele von ihnen“, so die Psycholog*innen.
Betroffene können oft nicht genau einordnen, warum sie sich noch lange nach der Therapie so erschöpft fühlen. Nach dem Ende der medizinischen Behandlung entsteht bei vielen das Bedürfnis, nach vorn zu schauen – doch gleichzeitig bleibt die Frage: Warum geht es mir immer noch nicht besser?
Dieser innere Konflikt kann Druck erzeugen. Viele beginnen, ihre Symptome herunterzuspielen oder sich selbst infrage zu stellen, berichten die Psycholog*innen. Deshalb ist es wichtig, dass Betroffene nicht nur Rückhalt durch ihr Umfeld erfahren, sondern sich auch selbst die Zeit geben, zu genesen. Die sichtbaren Zeichen einer Krebserkrankung sind nur die Spitze des Eisbergs – darunter liegen zahlreiche körperliche und seelische Belastungen, die im Alltag weiterwirken.
Selbst körperliche Veränderungen wie Narben, Hautveränderungen oder eine Mastektomie sind oft unsichtbar, beeinflussen aber das Selbstbild massiv. Hinzu kommen mentale Kraftakte: Die psychische Verarbeitung der Krankheit beginnt bei vielen erst nach der Behandlung – wenn der Ausnahmezustand vorbei ist und wieder Ruhe einkehrt. Dann trifft viele die ganze emotionale Wucht der Diagnose. Das macht die Rückkehr in den Alltag nicht einfacher.
Auch wenn sie gut gemeint sind: Aussagen wie „Das wird schon wieder“ oder „Das Schlimmste ist vorbei“ können Schmerzen und Sorgen bagatellisieren.
Auf die Frage „Wie geht es dir?“ antworten viele Patient*innen positiv – aus Angst, nicht verstanden zu werden oder weil sie befürchten, nur noch als krank wahrgenommen zu werden.
Auch weniger invasive Therapien – wie die antihormonelle – bringen viele Nebenwirkungen mit sich, die den Alltag erschweren
Das weiß auch Tanja D’Angelo, die im Dezember 2022 die Diagnose Brustkrebs erhielt.
Sie musste sich einer Operation, einer anschließenden Bestrahlung sowie einer Chemotherapie unterziehen. Heute ist sie in Remission, erhält jedoch weiterhin eine Antihormontherapie zur Rückfallprophylaxe. „Als ich wieder zu arbeiten begann, wurde mir schnell klar, dass ich noch lange nicht wieder die Alte war“, erzählt sie. „Ich habe noch monatelang mit den starken Nachwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie gekämpft.“
Wie viele andere Betroffene litt sie unter dem sogenannten Chemobrain – einer kognitiven Beeinträchtigung, die unter anderem Gedächtnisprobleme, verlangsamtes Denken oder Konzentrationsstörungen mit sich bringen kann. „Das ist nicht so offensichtlich wie der Haarverlust, aber deshalb nicht weniger real – und nicht weniger belastend.“
Auch die Psycholog*innen berichten von Patient*innen, die nach ihrer Therapie den Wiedereinstieg in den Job nur schwer finden. Viele haben das Gefühl, dass sie sich hier ständig erklären müssen. Selbst wohlwollende Kommentare wie „Du siehst wieder gesünder und besser aus“ erzeugen das Gefühl, klarstellen zu müssen, dass man sich trotzdem noch nicht ganz belastbar fühlt.
Jede Nachsorgeuntersuchung oder jeder Rückschlag kann psychischen Stress auslösen – aus Angst, erneut zu erkranken
Tanja D’Angelo berichtet, wie Kommunikation auf Augenhöhe für sie funktionierte: „Meine Partnerin hat mich oft gefragt, wie sich etwas für mich anfühlt. Das hat mir sehr geholfen, weil ich gespürt habe, dass sie wirklich versucht, meine Situation zu verstehen und sich in meine Gefühlswelt hineinzuversetzen. Das ist etwas anderes als Durchhalteparolen, die schnell herablassend wirken können.“
Oft fällt es dem Umfeld leichter, konkrete Aufgaben zu übernehmen, als über Gefühle zu sprechen oder einfach nur präsent zu sein und zuzuhören
Es fällt schwer zu vermitteln, warum man noch Pausen braucht oder die eigene Belastbarkeit eingeschränkt ist. Im Arbeitsumfeld kann das schnell zu Kommentaren wie „Gehst du schon wieder?“ führen – nicht immer böse gemeint, aber dennoch verletzend, findet auch Tanja D’Angelo: „Ich möchte nicht anders behandelt werden als meine Kolleg*innen“, betont sie, „aber ich wünsche mir, dass meine Situation ernst genommen und anerkannt wird.“ Gerade am Arbeitsplatz fehlt häufig das nötige Fingerspitzengefühl – auch, weil das Wissen über Spätfolgen fehlt.
Doch auch im Freundeskreis oder in der Familie ist das spürbar. Viele Betroffene leiden noch lange unter Ängsten und psychischer Belastung aufgrund der anhaltenden Nebenwirkungen und Spätfolgen der Krebserkrankung und -behandlungen. Und nicht jede Therapieform ist für Außenstehende als Belastung erkennbar. „Auch minderschwere Behandlungen wie die Antihormontherapie oder eine Bestrahlung haben Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Hautprobleme“, klären die Psycholog*innen auf. „Nur weil es keine Chemotherapie ist, heißt das nicht, dass Patient*innen nicht darunter leiden.“ Für das Umfeld erscheinen die invasiven Behandlungen oft als der schwerste Teil. Ist dieser überstanden, wird der Rest schnell als „erträglich“ oder „nicht so schlimm“ eingeordnet. Doch das ist eine gefährliche Verharmlosung.
Solche Sätze können das Gefühl vermitteln, dass die aktuellen Beschwerden nicht mehr zählen – oder übertrieben seien. Die Folge: Patient*innen ziehen sich zurück, sprechen weniger über ihre Situation, fühlen sich nicht gesehen und allein gelassen.
Auch Angehörige fühlen sich mit ihrer Hilfe manchmal übersehen oder missverstanden
Die Liste der langfristigen Nachwirkungen einer Krebserkrankung ist lang – und vieles davon ist nicht sichtbar: Kognitive Beeinträchtigungen, chronische Schmerzen und Neuropathien, Verdauungsprobleme, psychische Belastungen wie Depressionen oder Angststörungen, Libidoverlust oder Sexualfunktionsstörungen.
Diese Themen sollten nicht tabuisiert, sondern angesprochen werden.
Bei Bedarf kann der psycho-soziale Dienst der Fondation Cancer dabei unterstützen.
Psycholog*innen: „Viele haben das Gefühl, dass alles, was nicht von außen sichtbar ist, gar nicht existiert.”
Offene Kommunikation ist deshalb entscheidend. Und manchmal braucht es gar nicht viele Worte – Zuhören, Dasein, Präsenz zeigen reicht oft. Denn niemand kann sich vollständig in die Situation einer anderen Person hineinversetzen. Aber man kann aufmerksam bleiben.
„Natürlich ist es anstrengend, anderen ständig erklären zu müssen, warum ich noch müde bin, wie aggressiv die Chemotherapie gewirkt hat oder wie belastend jede einzelne Nachsorgeuntersuchung ist“, sagt Tanja D’Angelo. „Aber ich will mich nicht verstecken – das würde es auch nicht besser machen.“ Sie spürt dennoch viel Rückhalt – bei der Arbeit, im Freundeskreis, in der Familie und in ihrer Beziehung. Gemeinsam mit ihrem Umfeld lernt sie, mit dem neuen Alltag zurechtzukommen.
Krebs und seine Folgen sind nicht immer sichtbar – und bei jeder Person unterschiedlich. Aber er hinterlässt immer Spuren. Es braucht mehr gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass die Erkrankung nicht mit dem letzten Klinikbesuch endet. Niemand sollte sich dafür schämen oder scheuen, Nachwirkungen anzusprechen und sich mitzuteilen. Betroffene brauchen auch nach der Therapie Anerkennung, Verständnis und Rücksicht – nicht Stigmatisierung oder Schweigen.
Krebs ist nicht immer sichtbar – genauso wenig wie seine Nachwirkungen: Hier braucht es ein Umdenken – menschlich wie gesellschaftlich
Gerade im Berufsleben ist es vielen Patient*innen wichtig, nicht auf ihre Krankheit reduziert zu werden – aus Angst, dass eine Sonderbehandlung berufliche Nachteile mit sich bringen könnte. Hinzu kommen Schuldgefühle gegenüber Kolleg*innen, wenn sie nicht immer 100 % leisten können. Gleichzeitig besteht der Wunsch, als Person gesehen zu werden, die mit Nachwirkungen kämpft. Dieser innere Konflikt ist für viele schwer auszuhalten.
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